Gewaltprävention an Schulen: Spielerisches Kämpfen
Das erfahren Sie in diesem Beitrag
Kämpfen gegen Aggressionen
Schubsen, beißen, treten, schlagen, raufen und prügeln.
Als Lehrerinnen und Lehrer werden Sie immer wieder mit den physischen Formen von Gewalt und Aggressionen unter Schülern konfrontiert werden. Nicht immer können Sie direkt eingreifen, da sich viele Vorfälle nicht unter Ihrer Aufsicht, sondern in unbeobachteten Momenten in den Pausen oder auf dem Schulweg ereignen. Maßnahmen zur Gewaltprävention sind deshalb besonders wichtig!
Durch Berichte über besonders schwerwiegende Fälle in den Medien liegt der Schluss nahe, dass Gewalt an Schulen an Brutalität und Häufigkeit zunimmt. Empirisch konnte eine solche Tendenz bisher nicht bestätigt werden – im Gegenteil:
Der Bundesverband der Unfallkassen legte in seinem Bericht über Gewalt an Schulen mit Verletzungsfolge zwischen 1993 und 2003 rückläufige Zahlen vor. Auch Dunkelfeldstudien aus den Jahren zwischen 1998 und 2013 bestätigen diesen Trend, wie der Kriminologe Christian Pfeiffer 2014 gegenüber der TAZ berichtete. Nichtsdestotrotz mag es an einzelnen Schulen ein anderes Bild geben.
Was hat diesen allgemeinen Rückgang bewirkt? Kinder werden heute zunehmend gewaltfrei erzogen und üben infolgedessen seltener selbst Gewalt aus. Einen Teil haben aber auch die Maßnahmen vieler Schulen zur Gewaltprävention und Projekte, wie Streitschlichterprogramme, beigetragen.
Das motiviert zum Weitermachen! Wir hätten einen Vorschlag:
Gewaltprävention durch Kämpfen
Es klingt zunächst paradox, aber Kampfsportarten und spielerische Kämpfe können einen wichtigen Beitrag zur Aggressionsbewältigung leisten.
Allerdings gibt es eine Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz: Alles muss in einem festgelegten Rahmen nach klaren Regeln ablaufen. Fairness ist dabei das oberste Gebot! Als Rahmen eignen sich beispielsweise der Sportunterricht oder AGs.
Regeln und Reflexionsphasen
Damit die Regeln von Ihren Schülern verstanden und vor allem akzeptiert werden, sollten Sie die Schüler bei der Festlegung der Verhaltensrichtlinien miteinbeziehen. Von oben diktierte Regeln wecken Widerstand. Deswegen setzen viele Lehrerinnen und Lehrer auch bei der Einführung von Klassenregeln auf ein gemeinsam erarbeitetes Regelwerk. Die Ergebnisse können dann als Plakat gut sichtbar aufgehängt werden.
Die wichtigste Regel: Bevor es losgeht, sollte ein Signal (z. B. Abklopfen oder „Stopp“ rufen) vereinbart werden, das einen Kampf immer sofort unterbricht.
Für die Schule nicht tauglich sind alle Techniken, die darauf abzielen, einem Gegner zu schaden: Treten, Schlagen, Beißen, Kratzen, Zwicken, Würgen, an den Haaren ziehen und auch Beleidigen hat in einem fairen Kampf nichts verloren!
Ziel ist auch gar nicht das Gewinnen, sondern die Vermittlung von Werten, die Stärkung des Selbstbewusstseins und des Einfühlungsvermögens in den Kampfpartner – immer unter besonderer Berücksichtigung des Sicherheitsaspekts.
Genauso wichtig wie Regeln sind Reflexionsphasen, um neben den sportlichen auch erzieherische Ziele zu erreichen. Haken Sie nach der Einführung neuer Elemente nach, wie die Schüler diese empfunden haben und welche Erfahrungen sie sammeln konnten.
Berührungsängste abbauen
Schüler reagieren in der Regel sehr positiv auf die Einbindung des Themas „Kämpfen“ in den Sportunterricht. Sollte sich aber doch ein Kind nicht beteiligen wollen, ist es wichtig, keinen Zwang auszuüben. Wer erstmal nicht selbst mitmachen möchte, darf zusehen oder Schiedsrichter sein. Für viele ist es auch leichter, wenn sie sich ihren Partner selbst aussuchen dürfen.
Zu Beginn muss es auch noch nicht sofort zum Zweikampf gehen: Mannschaftsspiele mit geringem Körperkontakt bauen die Hemmungen ab. Bei diesen Spielen kann z. B. mit Schwimmnudeln gekämpft werden oder es muss ein Gegenstand, z. B. ein Medizinball, nur mit den Füßen erobert werden.
Oder Sie nutzen einen unserer Spielvorschläge:
Spiel 1:
Für den Stundenbeginn z. B. das Spiel „Grüß dich“: Die Schüler bewegen sich zu Musik frei durch den Raum. Dann stoppen Sie die Musik und nennen ein Körperteil (z. B. Arm, Fuß, Po) mit dem sich jeweils zwei Schüler „begrüßen“ müssen. Lassen Sie den Schülern etwas Zeit, um einen Partner zu finden. Im Lauf des Spiels können Sie die Nähe der Begrüßungspartner durch die Nennung von „Ohr“ oder „Bauch“ noch steigern.
Spiel 2:
Beim Spiel „Hör gut zu“ rennen die Schüler zunächst frei durch den Raum. Auf Ihr Zeichen bleiben sie stehen und hören sich Ihre Anweisungen an: Sie nennen eine Zahl von Schülern, die sich zu einer Gruppe zusammenschließen, dann die Anzahl von Armen und Beinen mit der jede Gruppe den Boden berühren darf. Beispielsweise: „Drei Schüler, zwei Beine, vier Arme“. Die Schüler müssen nun eine Lösung für diese Aufgabe finden, die durchaus unterschiedlich sein kann.
Nach den Spielen dürfen sich die Schüler äußern, wie sie die ungewohnte Nähe empfunden haben. Genauso wie Spiele zum Abbau von Berührungsängsten können Sie im Vorfeld auch vertrauensbildende Übungen einbauen, wie das Fallenlassen in die Arme von Mitschülern oder Sie teilen die Klasse und verbinden einer Gruppe die Augen. Die sehende Gruppe leitet die „blinden“ Mitschüler sicher durch einen Parcours.
Sicherheit
Um das Verletzungsrisiko zu minimieren, sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
- Gekämpft wird nur auf Matten.
- Die Schuhe werden aus hygienischen Gründen in der Regel ausgezogen.
- Schmuck und andere Accessoires, an denen man hängenbleiben kann, besser ablegen.
- Steht Kämpfen auf dem Programm, sollten die Schüler lange, reißfeste Sportbekleidung tragen, um Abschürfungen beim Kontakt mit der Matte vorzubeugen.
- Lange Haare sollten zum Zopf gebunden werden.
- Am Anfang sollte die Ausarbeitung von Regeln und Ritualen für einen sicheren, fairen und respektvollen Umgang miteinander stehen.
- Die ersten Übungen finden am besten am Boden statt. Bei Bodenkämpfen, wie z. B. Schiebe-, Halte- und Drehübungen ist das Verletzungsrisiko für Anfänger am geringsten.
- Bevor die Schüler im Stehen kämpfen, müssen sie lernen, wie sie „richtig“ fallen.
- Sobald die Schüler die Regeln verinnerlicht haben, können Sie sie auch als Kampfrichter einsetzen.
- Lassen Sie die Stunde mit einem Spiel, einer Entspannungsübung oder einem Abschlussritual ausklingen, wenn Sie befürchten, dass Ihre Schüler noch zu aufgedreht bzw. noch in Rauflaune sind.
Lernziele
-
Werte vermitteln:
Nur wer fair gewinnt, verdient sich den Respekt der anderen. Rituale wie das Verbeugen vor und nach einem Kampf oder ein gemeinsames Begrüßungs- und Verabschiedungsritual zu Beginn und am Ende der Stunde grenzen die Zweikämpfe von Prügeleien ab und versinnbildlichen den respekt- und verantwortungsvollen Umgang der Kampfpartner. -
Aggressionspotential abbauen:
Angestaute Aggressionen können beim Kämpfen abgebaut werden, ohne Gewalt gegen andere auszuüben. Durch die Regeln wird die Aggression in kontrollierte Bahnen gelenkt. Die Schüler können ihre körperlichen Fähigkeiten so positiv einsetzen und Erfolgserlebnisse sammeln. -
Gewaltprävention:
Faires, respektvolles Kämpfen miteinander, die Verinnerlichung der Regeln und der dahinter stehenden Werte kann die Einstellung zu Gewalt und somit das Verhalten in Situationen verändern, in denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gegeneinander kommen könnte. Rangeleien und Kämpfen ist Teil der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Statt es zu tabuisieren, erscheint eine pädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema der bessere, nachhaltigere Weg. -
Sportliche Ziele:
Obwohl wir das Kämpfen hier besonders unter dem Aspekt der Gewaltprävention sehen, ist es natürlich auch ein Sport: Kondition, Reaktion, räumliche Orientierung, Körpergefühl, Gleichgewichtssinn und Koordination werden gefördert. -
Persönlichkeit stärken:
Die positiven Erlebnisse beim Kämpfen stärken Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Auch weniger sportliche Schüler können durch eine gute Technik punkten und korpulentere Kinder haben hier sogar einen kleinen Kräfte-Vorteil. Gleichzeitig üben sich die Schüler auch in Selbstkontrolle, denn wer die Regeln nicht befolgt, muss mit Konsequenzen rechnen (s. Grenzen kennen lernen). -
Einfühlungsvermögen steigern:
Beim Kämpfen geht es auch darum, seinen Kampfpartner einschätzen zu können und zu vertrauen. Die Kinder sind ihren Mitschülern nah und spüren deren Emotionen, wie die Freude über einen gelungenen Griff oder auch Ärger über eine Niederlage. Das Verständnis füreinander und gegenseitiges Rücksicht nehmen wird gefördert. -
Grenzen kennen lernen:
Die Schüler erleben körperliche Grenzen, Siege und auch Niederlagen und lernen damit umzugehen. Grenzen werden zudem durch die Regeln aufgezeigt: Wer sie missachtet, muss mit Konsequenzen (z. B. eine Runde aussetzen, Punkteabzug …) für sein Handeln rechnen. Dadurch wissen die Schüler immer woran sie sind und erfahren, dass Regeln Halt und Sicherheit geben.
Kämpfen unterrichten
Trotz der zahlreichen positiven Aspekte, die das Kämpfen nach Regeln mit sich bringt, kommt es noch nicht häufig zum Einsatz. Oft steht die Befürchtung im Raum, dass das Kämpfen die Schüler zusätzlich aufputscht oder sie das Erlernte bei Schulhofraufereien einsetzen. Viele Lehrerinnen und Lehrer würden diese Disziplinen gerne integrieren, trauen es sich aber nicht zu.
Hier möchten wir Mut machen, denn für viele Kampfspiele müssen Sie selbst keine Kampfsportlerin bzw. Kampfsportler sein.
Um die gerade genannten Lernziele zu erreichen, muss keine Sportart „gelernt“ werden – schon Basiserfahrungen und ein spielerischer Ansatz im Kämpfen tragen viel dazu bei.
In einigen Bundesländern ist der Zweikampfsport bereits in den Lehrplänen des Fachs Sport verankert, wodurch inzwischen vermehrt Lehrerfortbildungen angeboten werden.
Wer nun natürlich lieber Kampfsportarten wie Judo oder Taekwondo vermitteln möchte, ohne selbst darin ausreichend geübt zu sein, kann vielleicht eine Kooperation mit einer Kampfkunstschule in Erwägung ziehen.
Tipps für spielerische Kampfübungen
Zum Abschluss hier noch ein paar konkrete Vorschläge für Kampfübungen, die wir wie die zuvor genannten Spiele in dem Buch „Kämpfen nach Regeln im Sportunterricht. Stundenvorschläge, Spiel- und Übungskarten, Reflexionsimpulse“ von Constanze Leise und Nina Wilkening entdeckt haben (erschienen im Verlag an der Ruhr 2013).
Übung 1 Rückenschieben:
Zwei Schüler stellen sich auf einer Matte Rücken an Rücken auf und haken die Arme beieinander unter. Nach dem Startsignal versucht jeder den anderen von der Matte zu schieben.
Übung 2 Bodenrandori:
Zwei Schüler stehen sich im Kniestand auf einer (Weichboden-) Matte gegenüber. Sobald das Startsignal gegeben wurde, versuchen sie den Kampfpartner umzuwerfen und in dieser Position zu halten, bis der Schiedsrichter dreimal auf den Boden geschlagen hat. Im Anschluss können Sie die Schüler fragen, ob sie finden, dass sich das Kämpfen verändert hat. Für die Schüler ist dieses Kampferlebnis intensiver und auch dem Schiedsrichter kommt nun eine wichtigere Rolle zu.
Alternativ können die Schüler sich auch von der Matte schieben oder auf die Matte ziehen.
Übung 3 Eingehakt:
Nun wird im Stehen auf der Matte geübt. Zwei Schüler stellen sich so nebeneinander, dass jeder in eine andere Richtung blickt. Die rechten Schultern berühren sich dabei. Die Arme werden hinter den Rücken genommen und die rechten Beine gegenseitig eingehakt. Nach dem Startsignal wird versucht, den Kampfpartner aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Diskutieren Sie anschließend mit Ihren Schülern, was sich beim Kämpfen im Stand ändert und worauf man achten muss. Die Schüler stellen fest, dass sich die Fallhöhe vergrößert hat und man noch mehr auf sich und den Kampfpartner achten muss, damit sich niemand verletzt.
Römerstraße 41a
6230 Brixlegg/Tirol
E-Mail: [email protected]
Impressum
Datenschutz
Cookies
Römerstraße 41a
6230 Brixlegg/Tirol
E-Mail: [email protected]
Impressum
Datenschutz
Cookies